K H  E b n e t  -  ü b e r//setzungen
 



                                
Hans Jakob Christoph von Grimmelshausen,
Der Abentheuerliche Simplicissimus Teutsch
                  
                                                             






ZUM AUTOR

Der Abentheuerliche Simplicissimus Teutsch, 1668 erschienen und einer der ersten ›Bestseller‹ im deutschen Sprachraum, war dem lesenden, d. h. zumeist adeligen und bürgerlichen Teil der Bevölkerung, vertraut. Wer sich aber hinter German Schleifheim von Sulsfort, der als Autor des Romans firmiert, verbarg, wußte kaum jemand; wenn, dann geriet dieses Wissen schnell wieder in Vergessenheit.

Erst 1838 entdeckte man den wahren Autor: German Schleifheim von Sulsfort war nichts anderes als die anagrammatische Umstellung von Christoffel Grimmelshausen.

Grimmelshausen liebte solche Versteckspiele. Die wenigsten seiner Bücher erschienen unter dem eigenen Namen; Samuel Greifnson vom Hirschfeld, Philarchus von Trommenheim, Erich Stainfels von Grufenholm, Melchior Sternfels von Fuchshaim, Michael Rechulin von Sehmsdorff lauteten die Pseudonyme, die er im Laufe seiner Schriftstellerkarriere benützte.

Ein ähnliches Versteckspiel begegnet dem Leser in all seinen Werken. Es sind oft eigene Erlebnisse, die Grimmelshausens derber, manchmal obszöner, vor allem aber sprachlich genauer Realismus dichterisch und satirisch spiegelt, verzerrt, überhöht und phantastisch ausgestaltet. Dabei geht es ihm, trotz vieler Parallelen und Überschneidungen mit dem eigenen Leben, niemals um die autobiographische Aufarbeitung persönlicher Erlebnisse; Grimmelshausen hatte eine Botschaft mitzuteilen, deren Tendenz eindeutig ist: das Chaos dieser Welt birgt kein Glück, was bleibt, ist der Rückzug aus der Welt, um in völliger Abgeschiedenheit, als Einsiedler oder auf einer Insel, sein Leben Gott zu widmen.

Mit dieser radikalen Sicht der Welt stand Grimmelshausen nicht allein: sie entsprach dem aus unzähligen schmerzlichen Erfahrungen erwachsenen Lebensgefühl einer unsteten, gewalttätigen Zeit. Als er um 1622 in Gelnhausen geboren wurde, war der Dreißigjährige Krieg erst wenige Jahre alt. Der Vater starb früh, die Mutter verheiratete sich erneut und zog nach Frankfurt; so wuchs Grimmelshausen bei seinem Großvater auf, bis 1634 die Stadt von kaiserlich-spanischen Truppen geplündert wurde. Die Bevölkerung wurde massakriert oder floh. Der Dreizehnjährige gelangte nach Hanau und wurde dort, ähnlich wie sein Held Simplicius, von den Kroaten entführt.

Grimmelshausen wurde in die Wirren des Krieges verwickelt. 1635 nahmen ihn die Hessen gefangen; wie lange er dort blieb, ist nicht bekannt. Als Troßjunge kam er 1636 mit den kaiserlichen Truppen in die Gegend um Magdeburg (Schlacht bei Wittstock), 1637 fand er sich in Westfalen wieder, das Jahr darauf am Oberrhein, wo er sich nach den beiden Niederlagen der kaiserlich-bayerischen Truppen als Garnisonssoldat zur Verteidigung der Stadt Offenburg meldete.

Unter dem Oberst Schauenburg, der aus der Gegend stammte, konnte die strategisch wichtige Stadt bis zum Ende des Krieges gehalten werden. Für Grimmelshausen vollzog sich nun eine entscheidende Wandlung. Bald holte man den aufgeweckten Jungen, der lesen und schreiben, ein wenig Latein und Mathematik konnte – Resultat der Ausbildung, die er noch unter seinem Großvater erfahren hatte – in die Regimentskanzlei, spätestens 1645 war er als Schreiber tätig. Eine wichtige Rolle dabei spielte der Regimentssekretär Johannes Witsch, Magister der Universität Freiburg, der die Begabung Grimmelshausens erkannte und sie zielstrebig förderte.

Als 1647 die Schweden und Franzosen in Bayern einfielen, nahm Grimmelshausen als Sekretär im Regiment Elters, eines Schwagers von Schauenburg, am Feldzug in Bayern teil. Dort ereilte ihn am 24. Oktober 1648 der Friedensschluß. Grimmelshausen kehrte nach Offenburg zurück, wo er im August 1649 Katharina Henninger, die Tochter eines Kameraden aus dem Regimentsstab, heiratete.

Die Schauenburger stellten Grimmelshausen nun in ihren Dienst. Er wurde Schaffner in Gaisbach und kümmerte sich um die Verwaltung der schauenburgischen Güter; im Schaffnerhaus, das er 1656 erwarb, betrieb er die Weinwirtschaft „Zum silbernen Stern".

Elf Jahre blieb er dort, 1662 allerdings wechselte er den Dienstherrn. Ebenfalls als Schaffner fand er Anstellung auf der nur wenig entfernt gelegenen Ullenburg des Straßburger Arztes Küeffer (auch Küffer oder Kieffer geschrieben). Die Bibliothek, die ihm dort zur Verfügung stand, dürfte nicht wenig zu dieser Entscheidung beigetragen haben, denn längst muß Grimmelshausen zu schreiben begonnen haben.

Seine ersten Bücher, die 1667 erschienen, der Satyrische Pilgram und die Histori vom keuschen Joseph in Egypten, waren wahrscheinlich bereits 1665 fertig. Ausgelöst durch den Erfolg des Simplicissimus (1668) kamen nun, Schlag auf Schlag, bis 1673 die weiteren Bände, von denen viele um die Figur des Simplicissimus angelegt sind: 1670 Dietwalds und Amelinden anmuthige Lieb- und Leids-Beschreibung, der Simplicianische zweyköpffige Ratio Status, Trutz Simplex (die Lebensbeschreibung der Landstörzerin Courage), Der erste Beernhäuter und Der seltzame Springinsfeld; 1672 Das wunderbarliche Vogel-Nest, Rathstübel Plutonis, Des abenteuerlichen Simplicii verkehrte Welt, Der stoltze Melcher und Des Durchleuchtigen Printzen Proximi und seiner ohnvergleichlichen Lympidae Liebs-Geschicht-Erzehlung; 1673 der Teutsche Michel, der Bart-Krieg und das Simplicissimi Galgen-Männlin.

Daneben verfaßte er – sein zweites großes Werk – den 1671 herausgegebenen Ewigwährenden Kalender, der in zahlreichen Anspielungen und Querverweisen um die simplicianische Welt kreist und ein undurchschaubares literarisches Labyrinth darstellt.

Warum Grimmelshausen die Stellung bei Dr. Küeffer aufgab, ist nicht bekannt. Ab 1665 jedenfalls betrieb er wieder seine Gastwirtschaft in Gaisbach. Eine neue Anstellung fand er 1667 als Schultheiß in Renchen und wurde somit bischöflicher Beamter auf Lebenszeit.

Nach fünf Friedensjahren holte ihn 1673 nochmals der Krieg ein. Der französische König Ludwig XIV. dehnte seine Feldzüge gegen die Niederlande auf das Elsaß aus, die Gegend um Renchen wurde schwer in Mitleidenschaft gezogen. Eine Entscheidung fiel erst 1675 durch die Schlacht bei Sasbach, unweit Renchen, bei der die Franzosen von kaiserlichen Truppen geschlagen wurden. Grimmelshausen muß noch einmal Soldat gewesen sein.

1676, am 17. August, starb Grimmelshausen, wahrscheinlich an den Folgen einer schweren Krankheit, die ihn wohl auch die letzten Jahre über geplagt hatte.


ZUM WERK

1668 erschien beim Nürnberger Verleger Wolff Eberhard Felßecker der Abentheuerliche Simplicissimus Teutsch. Bereits im Frühjahr 1669 wurde die zweite Auflage in Druck gegeben, und noch im gleichen Jahr kam in Frankfurt ein Raubdruck heraus, in dem Grimmelshausens Dialekt abgeschwächt und die Rechtschreibung verändert worden war. Felßecker zog nach und brachte im Herbst 1669 eine vierte Auflage, die die Frankfurter Korrekturen übernahm. Eine fünfte Auflage (1671), der von Scholte so bezeichnete Barock-Simplicissimus, wies neben drei weiteren Continuationen zahlreiche, den rhetorischen Normen der Zeit entsprechende ›Verbesserungen‹ auf, die, nicht nur weil sie mit Grimmelshausen nicht abgesprochen waren, verständlicherweise dessen Zorn erregten. Eine sechste Auflage erschien dann noch 1672.

Es war Grimmelshausens Sprache, seine Ironie und sein abgründiger Humor, die den Simplicissimus zu einem der, wie Clemens Brentano meinte, »vortrefflichsten« Bücher machten. Bunt, roh, wild, derb, niemals gekünstelt oder gar schlüpfrig, tritt das Leben in bildhafter Plastizität aus ihm hervor, das Leben des Krieges allerdings, so wie Grimmelshausen es wohl selbst unzählige Male erfahren hat.

Indessen hatten die andern Soldaten die übrigen vier Bauren, so geleckt waren worden, auch unterhanden; die banden sie über einen umgefallenen Baum, mit Händen und Füßen zusammen, so artlich, daß sie (s. v.) den Hindern gerad in die Höhe kehrten, und nachdem sie ihnen die Hosen abgezogen, nahmen sie etliche Klafter Lunden, machten Knöpf daran, und fiedelten ihnen so unsäuberlich durch solchen hindurch, daß der rote Saft hernachgienge.

Simplicius wird Teil dieser Welt. Als Narr, ja sogar im Kalbskostüm erfährt er die Unbarmherzigkeit und Schadenfreude der Mächtigen und ihrer Dienerschaft; als Jäger von Soest und als Soldat erlebt er die Widerwärtigkeiten und Grausamkeiten des Krieges, die ständig wiederkehrende Abfolge von Raub, Plünderung, Verwüstung und Mord, die die Soldateska über das Land bringt. Die Welt ist verkehrt, will sagen, jede Ordnung ist außer Kraft gesetzt, es regieren Gesetzlosigkeit, Willkür, Torheiten und Verbrechen. Das Leben ist Chaos, ohne Sinn, ohne Ziel.

Daß es sich bei diesem von Grimmelshausen so bezeichneten Teutschen Krieg um einen Glaubenskrieg handelt, erfährt der Leser nicht, ebenso wenig, daß Großmächte – Habsburg, Frankreich, Schweden – um die Vorherrschaft in Deutschland kämpfen.

Der Raum, in dem die Geschehnisse sich ereignen, ist Niemandsland, ohne feste Ordnung, ohne feste Fronten, die Kriegsparteien operieren mit kleinen und kleinsten Einheiten, die, je nach Lage, auseinanderfallen und neu formiert werden. Man wechselt von einem Lager ins andere oder bildet, wie Simplicius als Jäger von Soest, eine eigene Partei. Wohin die Reise des Simplicius geht, erfährt der Leser bis zum Ende des vierten Buches nicht.

Zu Beginn des fünften unternimmt Simplicius, Besserung seines unchristlichen Treibens gelobend, mit Herzbruder eine Wallfahrt nach Einsiedlen. Schon als sie die Grenze zur Schweiz überschreiten, wähnen sie sich im Paradies.

Das Land kame mir so fremd vor gegen andern teutschen Ländern, als wenn ich in Brasilia oder in China gewesen wäre; da sahe ich die Leute in dem Frieden handlen und wandlen, die Ställe stunden voll Viehe, die Baurenhöf lieffen voll Hühner, Gäns und Enten, die Straßen wurden sicher von den Reisenden gebraucht, die Wirtshäuser saßen voll Leute, die sich lustig machten; da war ganz und kein Feind, keine Sorg vor der Angst, sein Gut, Leib noch Leben zu verlieren; ein jeder lebte sicher unter seinem Weinstock und Feigenbaum, und zwar gegen andern teutschen Ländern zu rechnen in lauter Wollust und Freud, also daß ich dieses Land vor ein irdisch Paradies hielte [...].

Ein Land im Frieden mußte der seit Jahrzehnten kriegsgeplagten deutschen Bevölkerung tatsächlich so fremd wie Brasilien oder China, oder wie das Paradies erscheinen. Zwar hält die Bekehrung Simplicius' nicht lange an, und er verfällt wieder den alten Lastern, die Richtung ist jedoch nun gewiesen; der verkehrten Welt – ein Motiv der christlichen Askese – zu entgehen, gelingt nur, wenn man ihr gänzlich entsagt.

Die sich anschließende Continuatio, das sechste Buch des Romans, zeigt Simplicius als alleinigen Herrn über eine Südseeinsel, wo er sein einsiedlerisches Leben wieder aufnimmt, das er bereits ganz zu Anfang als unverständiger Narr beim Einsiedler im Wald geführt hatte. Der Kreis schließt sich. Einem holländischen Schiff, das zufällig anlegt, übergibt er seine Lebensaufzeichnungen.

[...] ein ehrlich gesinnter christlicher Leser wird sich vielmehr verwundern und die göttliche Barmherzigkeit preisen wann er findet, daß so ein schlimmer Gesell wie ich gewesen, dannoch die Gnad von Gott gehabt, der Welt zu resigniern, und in einem solchen Stand zu leben, darinnen er zur ewigen Glori zu kommen, und die selige Ewigkeit nächst dem heiligen Leiden des Erlösers zu erlangen verhofft, durch ein seligs ENDE.

Dies sind seine letzten Worte. Simplicius bricht in dieser ersten deutschen Robinsonade in eine christlich bestimmte Utopie aus. Wiewohl sie Grimmelshausens christlicher Überzeugung entsprach, spürte er, wie literarisch unbefriedigend diese Lösung war; in späteren Werken, vor allem im Springinsfeld und im wunderbarlichen Vogelnest, tritt Simplicius daher, nach Europa zurückgekehrt, wieder auf. Grimmelshausen konnte (und wollte) nicht ohne die Figur des Simplicius Simplicissimus auskommen.